Kartendienste als Schlüsseltechnologie für das autonome Fahren

Als im August 2015 Audi, BMW und Daimler ankündigten, den Kartendienst HERE kaufen zu wollen, gab es vielerorts ein wohlwollendes nicken. Der allgemeine Tenor war, dass sich das Konsortium der deutschen Premium Automobilhersteller unabhängiger von den großen „Kartenanbietern“ wie Google, Apple oder auch TOM TOM machen möchten. Und dies durchaus sinnvoll ist.
Jedoch ist die Annahme, es ginge hier nur um Karten für die Navigation falsch. Es geht um viel mehr – es geht darum, wie in Zukunft Autos fahren  – nämlich autonom – und im weiteren ob dies mit einem Geschäftsmodell einhergehen soll,  welches auf dem Sammeln und Auswerten von Daten beruht. Es geht um die Rolle der Kartendienste als Schlüsseltechnologie für das autonome Fahren.

Den Weg finden?

Derzeit sind elektronische Karten nur für die Navigation tauglich. Das System kennt den aktuellen Standort, man gibt den Zielort ein und das Navigationssystem berechnet den kürzesten, schnellsten oder schönsten Weg dorthin. Mit Verkehrsinfos und Stauumfahrung  oder ohne – je nach Anbieter. Autonome Fahrzeuge müssen jedoch nicht nur wissen wohin sie fahren sollen sondern sie müssen auch sehen, was um sie herum geschieht damit sie darauf reagieren können.Aber „sehen“ können autonome Fahrzeuge  derzeit nur über die vorhandenen Sensoren, seien es Kameras oder Radarsensoren. Hiermit erkennt das Fahrzeug die Position auf der Straße, erkennt den weiteren Verkehr und weiß ob es Lenken, Gas geben oder Bremsen um stehen zu bleiben.

Mit Karten sehen?

Um mit Hilfe von Kartendiensten „sehen“ zu können, müssen diese andere, weitere Informationen bieten.
Dafür entwickeln Kartenanbieter wie HERE oder TOM TOM neue Produkte. TOM TOM nennt diese z. B. 3D HAD Maps. HAD steht dabei für Highly Automated Driving. Diese Karten bieten nicht nur die üblichen 2-D Informationen wie wir sie alle von unseren bekannten Navigationssystemen kennen sondern sie liefern sozusagen ein 3D-Bild der Umgebung. Ähnlich wie wir dies z. B. schon von Google Street-View oder von der Apple Karten App kennen. Nur eben so genau, dass autonome Fahrzeuge durch die Kombination der 3-D Karten, Radarsensoren und Live-Kamerabildern ein exaktes Bild ihrer Umgebung bekommen, ihres Standortes und des Verkehrs um sie herum. So könnte es z. B. auch möglich sein, dass autonome Autos im Regen oder im Schnee fahren. Dies sind Situationen, bei denen die derzeitigen Fahrzeuge große Probleme haben. Nicht umsonst fahren die meisten autonomen Testfahrzeuge derzeit in Kalifornien …
Warum ist dies so? Nun – man muss sich nur vorstellen es hat geschneit und es liegen 3 cm Schnee auf der Straße. Das Ergebnis: alle Fahrbahnmarkierungen sind von Schnee bedeckt. Keine Kamera kann erkennen, wo die richtige Fahrspur ist … doch durch die Kombination von HAD Karte, Radar- und Kamerasensoren sowie GPS kann das Fahrzeug seine exakte Position ermitteln auch wenn viele Orientierungspunkte mittels der Kameras nicht erkannt werden können.
Und auch Tesla arbeitet an seinen eigenen Karten. Sie haben sich einen eigenen Weg ausgedacht, solches Kartenmaterial zu erstellen. Tesla nutzt dafür die Flotte der verkauften Fahrzeuge und eine clevere „Schwarmfunktion“ ihrer Software: alle Tesla Modell S, die derzeit auf den Straßen unterwegs sind, sammeln unentwegt Daten und stellen diese Daten in der Cloud zur Verfügung. Und zwar über den Zustand von Straßen, die Verkehrsführung u. ä. So erstellt sich Tesla selbst sehr exakte und genaue Karten, mit deren Hilfe alle Teslas, auch das neu vorgestellte Modell 3, in Zukunft automatisiert fahren können.

Karten durch Tesla Autopilot
Karten die mittels des Tesla Autopilot erstellt wurden
Unterschiede zwischen Kartentypen
Unterschied zwischen normalen Karten und Teslas High Precision Maps

Ein Blick in die Zukunft?

Aber dies ist nicht der einzige Anwendungsfall für Karten. Sie sollen zukünftig für autonome Fahrzeuge den „Blick in die Zukunft“ ermöglichen. Was ist damit gemeint? Nun – die Sensoren autonomer Fahrzeuge haben eine eingeschränkte Reichweite. Moderne Fernradarsensoren haben beispielsweise eine Reichweite von 200 Metern. Und Kameras oder Ultraschallsensoren können nur die direkte Umgebung der Fahrzeuge abdecken. Aber mit den neuen Kartendiensten können Informationen über den Verkehr, die Strecken- oder Wetterbedingungen weitergegeben werden die weiter voraus liegen z. B. 500 Meter oder 2 oder 10 Kilometer vor dem Auto.
Hierbei sammeln alle Fahrzeuge die unterwegs sind relevante Informationen. Diese Informationen werden in Echtzeit zum Kartenanbieter hochgeladen und allen anderen Fahrzeugen zur Verfügung gestellt, die auch auf dieser Strecke oder in dieser Gegend unterwegs sind. So wird z. B. über plötzlichen Regen- oder Schneefall, eine Baustelle, Panne oder Unfall informiert.
Der nachfolgende Verkehr bzw. die damit verknüpften IT-Systeme  können auf diese Informationen reagieren – u. U. durch Umleitungen oder alternative Routen.
Weiterhin wird damit getrackt, inwieweit Strecken ausgelastet sind um im Bedarfsfall alternative Routen auszuwählen und damit den Verkehr auf unterschiedliche Strecken zu verteilen.
Dies sind bei weitem keine Utopien: Google stellt damit heute schon fest, inwieweit Strecken durch übermäßigen Verkehr belastet sind und schlägt Alternativrouten vor. Dies wird realisiert, indem z. B. über die Mobilfunkprovider geprüft wird, wie viele Handys in den Funkzellen angemeldet sind. Sind diese in Fahrzeuge unterwegs, bewegen diese sich von Funkzelle zu Funkzelle – mehr oder weniger schnell. Und wenn dies weniger schnell geschieht, so ist dies in der Regel auf Staus zurückzuführen. In Zukunft kann dies sehr viel schneller und zuverlässiger geprüft werden wenn die Fahrzeuge proaktiv melden, wie schnell diese auf welchen Routen unterwegs sind. Denn die auf Handys basierenden Systeme haben Ungenauigkeiten. Z. B. wenn nachts nur wenig Verkehr ist und dieser relativ langsam unterwegs ist, wie z. B. Lastwagen. Dann denkt das System, es gibt Behinderungen da der Verkehr nur mit ca. 90 km/h unterwegs ist. Und meldet in der Kartenanwendung entsprechende Verzögerungen. Dies ist aber überhaupt nicht der Fall, da einfach zu wenig Fahrzeuge unterwegs sind.

Was kann es noch geben?

Google arbeitet z. B. an personalisierten Angeboten. Schon heute ist ein User für Google ein gläserner Kunde. All die Informationen, die Google sammelt, werden ausgewertet und darauf aufbauend individuelle Angebote für die Kunden angeboten. Eine interessante Dokumentation dazu ist hier zu finden: Weltmacht Google – das Geschäft mit den Daten. Und dies wird noch mehr – vor allem wenn Google auch noch weiß, wohin jemand unterwegs ist, wie oft er diese Stecken befährt u. ä. Dies kombiniert mit anderen schon vorhandenen Informationen bzw. Vorlieben und dem Fahrer wird z. B. nach zwei Stunden fahrt vorgeschlagen, mach mal Pause: hier findest Du einen Imbiss der lt. Kundenbewertung sehr gute Burger bietet für die Du Dich schon vielmals interessiert hast. Oder auf dem Weg gibt es einen Outlet, dort findest Du gerade heute die Schuhe, die Du schon oft gegoogelt hast mit einem 35% Rabatt. Der Rabattgutschein wird auf das Handy gesendet und wenn der Kunde in den Laden kommt, könnte der Verkäufer bereits wissen, was der Kunde sucht und ihn direkt auf diese Produkt aufmerksam machen …
Und hier unterscheidet sich beispielsweise das Geschäftsmodell von Google und von HERE. Bei HERE ist der Kunde der die Karte nutzt weiter anonym. Es ist auch nicht notwendig, diesen zu identifizieren, wenn er „nur“ die Navigations- und Ortungsdienste nutzt. Google möchte hier natürlich mehr – so ist nun mal das Geschäftsmodell.

 Hinweis:
dieser Artikel wurde ursprünglich am 04. April 2016 veröffentlicht.